BAYERN. Extremisten, Demokratiefeinde und Verschwörungstheoretiker versuchen im Schatten der Corona-Pandemie Unzufriedene und Verunsicherte mit ihrer extremistischen und antidemokratischen Agitation zu infizieren. Zu diesem Ergebnis kommt Innenminister Joachim Herrmann bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2020. Herrmann stellt dabei fest, dass Rechts- wie Linksextremisten Spaltungstendenzen innerhalb der Gesellschaft zu nutzen suchen, um sich gegen die rechtsstaatliche Ordnung zu positionieren und neue Anhänger zu gewinnen. „In Teilen der Bevölkerung bildet die kontroverse Diskussion einen Nährboden für sicherheitsgefährdende, demokratiefeindliche Einstellungen und Bestrebungen. Das Aufeinandertreffen mit bereits vorhandenen extremistischen Strömungen kann mittelfristig zu einer ernsthaften Gefahr für unsere Demokratie werden.“ So stellt Herrmann bereits einen deutlichen Anstieg des rechtsextremistischen Personenpotentials, aber auch einen Anstieg der rechtsextremistischen Straftaten fest. Besorgniserregend sei auch die zunehmende Gewaltbereitschaft der linksextremistischen Szene.
Herrmann stellte dabei klar: „Das Grundrecht der Meinungsfreiheit bleibt gewährleistet. Eine Grenze ist jedoch dann klar überschritten, wenn vom Systemsturz fantasiert wird, wenn Antisemitismus und Rassismus verbreitet werden oder wenn zu schwersten Gewalttaten gegen staatliche Repräsentanten aufgerufen oder angestiftet wird. Derartige Auswüchse kann und wird der Rechtsstaat nicht tolerieren!“ Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz hat im Februar deswegen die Beobachtung von wenigen Einzelpersonen aufgenommen, die gegen den Staat und die demokratischen Entscheidungsträger hetzen.
Rechtsextremisten nutzen die Pandemie und die hierzu kursierenden Verschwörungstheorien als Vehikel, um mit ihren antidemokratischen und rassistischen Zielen in neue Teile der Bevölkerung vorzustoßen. Hierbei spielen die Mechanismen der sozialen Medien eine besondere Rolle. Die Wechselwirkungen zwischen Rechtsextremismus und Verschwörungstheorien benennt der Verfassungsschutz als einen wesentlichen Faktor für den erneuten Anstieg des Personenpotentials im rechtsextremistischen Bereich. Herrmann: „Aktuell gehen wir von 2770 Personen aus. Das ist ein Plus von 7,7 Prozent. Dabei geht es bei mehr als der Hälfte um eine Szene, die nicht mehr an Parteien oder Gruppierungen gebunden ist, sondern die sich als „freie Radikale“ vorzugsweise im Netz bewegen.“ Die Gesamtzahl der rechtsextremistischen Straftaten, darunter 81 Gewalttaten, ist auf 2455 gestiegen. „Das bedeutet bei den Gewalttaten eine Steigerung um nahezu 33 Prozent“, zeigte sich Herrmann alarmiert. „Auch bei den sonstigen Straftaten belegen insbesondere die Volksverhetzungsdelikte mit einer Steigerung von 35 Prozent auf 597 Delikte die zunehmende Aggressivität der Szene.“
Auch die Szene der Reichsbürger hat im Schatten der Pandemie neuen Zulauf bekommen, da sie hierzu eigene Erklärungsmuster über angebliche Ursachen und Wirkungen verbreitet, die durchaus auf Akzeptanz stoßen. Positiv hob Herrmann die Entwaffnung der Reichsbürgerszene in Bayern hervor. Dank der engagierten Arbeit der Waffenbehörden sei diese bereits sehr weit fortgeschritten. Zum Jahresende 2020 waren lediglich 19 Widerrufsverfahren noch nicht abgeschlossen. Bei weiteren 13 Fällen waren die Waffenbehörden noch bei der Prüfung, ob ein Widerrufsverfahren einzuleiten ist.
Nach wie vor besorgniserregend ist für Herrmann die Gewaltbereitschaft der linksextremistischen Szene. Da der Staat und seine Repräsentanten als Feind betrachtet werden, richten sich die linksextremistischen Übergriffe vor allem gegen Polizeibeamte als sichtbarste Vertreter des Staates. Herrmann: „Ein Teil der Szene in ihrem Staatshass nimmt auch schwere Personenschäden bewusst in Kauf.“ Innerhalb eines Jahres stieg die Zahl der linksextremistischen Gewalttaten von 47 auf 62 Delikte an. Auch die Gesamtzahl linksextremistischer Straftaten in Bayern ist 2020 nach einem Rückgang im Vorjahr wieder von 669 auf nunmehr 705 angestiegen.
Keineswegs gebannt sieht Herrmann auch die Gefahr des internationalen islamistischen Terrorismus. Der Islamische Staat restrukturiere sich im Untergrund neu. Zudem bemühen sich salafistische Organisationen, ihr Erscheinungsbild zu modernisieren. Auch die vordergründig nicht gewaltbefürwortenden, „legalistischen“ Islamisten versuchten Einfluss auf unsere Gesellschaft zu nehmen. Ein Beispiel ist die Muslimbruderschaft, die sich nach außen zwar moderat und dialogbereit gibt, tatsächlich aber die Demokratie in einen islamischen Gottesstaat transformieren will.
Auf anhaltend hohem Niveau sieht der Innen- und Verfassungsminister auch die Bedrohungslage im Cyberraum. Aufgrund der Pandemie seien im zurückliegenden Jahr weltweit verstärkt Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste im Gesundheitssektor festzustellen gewesen.
Herrmann sagte abschließend, dass die Corona-Pandemie „wie ein Brennglas die Aufmerksamkeit auf in der Gesellschaft vorhandene Bruchlinien lenkt“. Der Innenminister bezeichnete die Aufgabe des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz als Frühwarnsystem der Demokratie deshalb als wichtiger wie je zuvor. „Die von Parteien der politischen Ränder links wie rechts erhobene Forderung nach einer Abschaffung des Verfassungsschutzes ist geradezu absurd. Wer das ernsthaft zur Diskussion stellt, offenbart, wes Geistes Kind er wirklich ist: nämlich, dass er mit dem Schutz der Demokratie nicht allzu viel im Sinn hat.“
Bericht: Bayerisches Innenministerium