MÜNCHEN. Die Kriminologische Forschungsgruppe (KFG) im Bayerischen Landeskriminalamt veröffentlicht den aktuellen Jahresbericht „Kriminalität und Viktimisierung junger Menschen in Bayern 2020“. Ein Schwerpunkt des diesjährigen Berichtes liegt auf dem Sonderteil „Auswirkungen partnerschaftlicher Gewalt auf anwesende Kinder“, der auf einer Analyse des polizeilichen Datenbestandes allein jener Fälle häuslicher Gewalt basiert, in welchen Kinder im Haushalt leben. Zusätzlich werden Experteninterviews zusammengefasst dargestellt, die im Kontext der Covid-19-Pandemie die Entwicklung im Dunkelfeld beleuchten.
Michael Laumer (KFG), der das Phänomen näher untersucht, stellt fest, dass in einer Vielzahl von Fällen die körperlichen und psychischen Gewalthandlungen gegen die Partnerin oder den Partner nicht auf einen Einzelfall beschränkt bleiben, sondern sich teils über mehrere Jahre erstrecken können. Die überwiegende Mehrheit der in den untersuchten Familien verzeichneten Kinder im Alter von 0 bis unter 14 Jahren war zum Zeitpunkt der Gewalthandlungen anwesend. Dies betrifft vor allem sehr junge Kinder bis unter sechs Jahren. Zwei Drittel der Kinder bis unter zwei Jahren und gut jedes zweite Kind ab zwei Jahren werden Zeuge von körperlicher Gewalt. In diesem Zusammenhang sind mit Blick auf den aktuellen Forschungsstand zwei Aspekte besonders hervorzuheben: Erstens können die psychophysischen Folgen für Kinder, die indirekt Gewalt erleben, umso gravierender sein, je jünger sie zum Zeitpunkt der Gewaltausübung sind. Zweitens erhöht sich dadurch das Risiko einer späteren Viktimisierung oder Täterschaft.
Im Vergleich zu 2019 berichten betroffene Personen von Partnerschaftsgewalt im Corona-Jahr 2020 häufiger von leichten bis schweren körperlichen Übergriffen und vor allem öfter von massiver psychischer Gewalt, wie beispielsweise in Form von Demütigungen und Psycho-Terror, der nicht selten in Morddrohungen oder Drohungen in Bezug auf die Kinder mündet. Des Weiteren steigt in den hier untersuchten Fällen der Anteil der männlichen Tatverdächtigen von 2019 auf 2020 um fast zehn Prozentpunkte und damit auf 90,0 % an. Das zeigt, dass die Gewaltbereitschaft von Männern in Partnerschaften mit Kindern in 2020 im Vergleich zum Vorjahr sichtbar zunimmt. Anhand der Ergebnisse einer Dunkelfeldstudie (Steinert & Ebert, 2020) und nach Einschätzung der interviewten Expertinnen, steigt das Risiko von Gewalt an Frauen und Kindern während den pandemiebedingten Ausgangsbeschränkungen an, was mit unterschiedlichen Faktoren zusammenhängt. Die unsichere Kinderbetreuung, die Angst vor Arbeitsplatzverlust und die damit assoziierten finanziellen Sorgen führen bei vielen Partnerinnen und Partnern in dieser Zeit zu einer hohen Mehrfachbelastung, die wiederum gewalttätige Strukturen verstärkt. Gleichzeitig wenden sich Hilfesuchende während der Lockdown-Phase – außer in Extremsituationen – kaum an die Beratungsstellen. Grund dafür sei der Umstand, dass den betreffenden Personen unter den erschwerten Bedingungen keine ausreichenden Kapazitäten zur Verfügung stehen, aktiv Hilfe zu suchen. Darüber hinaus sind durch Kontaktbeschränkungen und Schulschließungen außerfamiliäre Sozialkontakte, denen sie sich anvertrauen können, wie beispielsweise zum Freundeskreis oder zu Lehrkräften, deutlich reduziert.
Nach der schrittweisen Lockerung im Mai 2020 stieg die Zahl der Inanspruchnahme von Beratungs- und Hilfsangeboten jedoch um 25,0 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum an.
Zur allgemeinen Entwicklung der Kriminalität durch junge Menschen in Bayern lässt sich zunächst festhalten, dass im Jahr 2020 in Bayern 19,7 % junge Tatverdächtige registriert sind. Wie in den Jahren zuvor ist damit etwa jede/r fünfte Tatverdächtige ein Kind, Jugendliche/r oder Heranwachsende/r. Die Heranwachsenden (18- bis 20- Jährige) weisen seit 2011 durchgängig höhere Tatverdächtigenzahlen auf als die Jugendlichen (14- bis 17-Jährige). Bei Kindern (8- bis 13-Jährige) ist diese Zahl am niedrigsten. Die Tatverdächtigenzahlen der Heranwachsenden (-20,1 %) und insbesondere der Jugendlichen (-24,7 %) haben von 2011 bis 2020 relativ konstant abgenommen. Weiterhin ist bei den tatverdächtigen Kindern festzustellen, dass sich der seit 2015 sukzessiv ansteigende Trendverlauf im Jahr 2020 nicht fortsetzt.
Der Anteil junger Menschen an allen Opfern beträgt im Jahr 2020 in Bayern 22,0 %. Damit ist etwa jedes vierte bis fünfte Opfer einer Straftat zwischen 0 und 20 Jahre alt. Zudem zeigt sich im Langzeitverlauf, dass junge Menschen im Jahr 2020 weitaus seltener viktimisiert werden als 2011. Die Heranwachsenden weisen ein quantitativ höheres Opferrisiko auf als die jüngeren Altersgruppen, jedoch steigt die Zahl der kindlichen Opfer im gesamten Berichtszeitraum um +3,9 % an.
In den meisten Deliktsbereichen sind aufgrund der Corona-Pandemie und in diesem Kontext getroffenen Maßnahmen derzeit tendenziell rückläufige Tatverdächtigenzahlen zu beobachten. Zu einer der Ausnahmen gehören die Raubdelikte, die von 2019 auf 2020 deutliche Zuwächse bei den Jugendlichen (+14,8 %) und Heranwachsenden (+19,4 %) zu verzeichnen haben. Weiterhin nennenswert ist, dass bei Gewaltkriminalität (+1,6 %) und Sachbeschädigung (+1,0 %) die Zahl der jugendlichen Tatverdächtigen in 2020 gegenüber dem Vorjahr geringfügig ansteigt. Bei der Auswertung der Fallzahlen mit „Tatort Schule“ zeigt sich, dass in 2020 1.671 Straftaten weniger gezählt werden als noch im Vorjahr, was einer Abnahme von fast einem Fünftel (-19,8 %) entspricht.
Bericht: Bayerisches Landeskriminalamt